Neururer redet Tacheles über DFB-Team: “In the Middle of Nowhere”
Veröffentlicht am 14. November 2023
Bild: Peter Neururer blickt auf den 11. Bundesliga-Spieltag zurück – und auf den DFB voraus. (© Wettfreunde)
Peter Neururers Kolumne zum 11. Spieltag & Länderspielpause
Es war das Spitzenspiel am Wochenende, BVB gegen Stuttgart. Unser Wettfreunde-Experte Peter Neururer hat aber nur eine Mannschaft gesehen und attestiert nach dem Duell einen “Weltenunterschied”.
Außerdem geht die Talfahrt in der Liga für Union Berlin weiter. Vielleicht kommt für einige Mannschaften die Länderspielpause gerade zur rechten Zeit.
In “Neururer redet Tacheles” bespricht der 68-Jährige alle aktuellen Themen rund um Bundesliga und Nationalmannschaft und hofft auf positive Signale vor der anstehenden EM in Deutschland.
Neururer über Dortmund: “Meilenweit von der Spitze entfernt”
Liebe Wettfreunde,
Borussia Dortmund verliert 2:1 beim VfB Stuttgart. Im Grunde kann das mal passieren, aber wenn ich die ganze Saison, bis zum 11. Spieltag, mal Revue passieren lasse, schwächelte Dortmund bereits in der Anfangsphase.
Und Füllkrug hat es nach dem Spiel auf den Punkt gebracht: “Uns fehlt es in einigen Bereichen an Qualität. Wie wir anlaufen, wann wir anlaufen, ob wir anlaufen.”
Wenn ich dann das Spiel vom VfB Stuttgart sehe, 2:1 hört sich knapp an, aber es war gefühlt ein Weltunterschied. Stuttgart hat ein Torschuss-Verhältnis im Vergleich zu Borussia Dortmund, was unterirdisch oder überirdisch war, man kann es gar nicht beschreiben.
Kobel avancierte zum besten Mann auf dem Platz. Gut, er verursacht zwei Elfmeter, einen davon hat er gehalten, beim zweiten von Guirassy, der wieder zurückgekommen ist, war eben nichts zu machen. Er wäre der große Held geworden.
Aber mit Fußball, mit Ambitionen Fußball zu spielen, um Deutscher Meister zu werden, wie es die Dortmunder vor der Saison angesagt haben, hat das überhaupt nichts zu tun. Die Dortmunder sind jetzt mittlerweile schon meilenweit von der Spitze entfernt, während die Stuttgarter sich im oberen Bereich behaupten.
Die haben natürlich keine Ambition Deutscher Meister zu werden, aber wenn es so weiterläuft, dann könnten sie als Abstiegskandidaten des letzten Jahres, möglicherweise um die internationalen Plätze weiterhin mitspielen.
Neururer über Harry Kane: “Veranlagungen, wie ich sie noch nie gesehen habe”
Wo findet man die großen Torjäger in ganz Europa? Immer nur bei Spitzenmannschaften. Immer dann, wenn Mannschaften imstande sind in torgefährlichen Szenen aufzutauchen, dann kann sich der jeweilige Torjäger einbringen.
Rekordhalter – wir fangen mal mit Gerd Müller an und hören dann letztendlich, in der augenblicklichen Phase, mit Harry Kane auf. Keine große Frage. Harry Kane hat Veranlagungen, wie ich es bei einem Stürmer in der Form noch nie gesehen habe.
Denn er gewinnt ja nicht nur Zweikämpfe, sondern was er geschickt macht, er entzieht sich auch Zweikämpfen, er lässt sich fallen, spielt von der Zehn aus weiter und hat einen Abschluss, der in der Bundesliga eigentlich Seinesgleichen sucht.
Aber es gibt einen, und das ist das Kuriose. Im letzten Jahr haben zwei Mann die Krone des Torschützenkönigs auf sich aufteilen können, mit 16 Toren. Diese 16 Tore jagen jetzt Harry Kane, mit 17 sowieso schon, aber auch Guirassy, der dann auch noch längere Zeit verletzt war, aber bereits mit 15 Toren dabei ist. Also zwei Top-Torjäger in zwei komplett unterschiedlichen Mannschaften.
Von daher glaube ich, dass es das ein klein wenig relativiert. Guirassy mit einem Wahnsinns-Lauf, jetzt wieder gesund, kommt rein, macht sofort einen Elfmeter. Ein Torjäger par excellence, aber spielt – das ist kein Widerspruch – beim VfB Stuttgart. Und die Anzahl der Chancen wird natürlich beim VfB nicht so groß sein wie beim FC Bayern München.
Ich gehe davon aus, dass der Zweikampf oben zwar weiterhin der Zweikampf zwischen Guirassy und Kane bleiben wird, aber Harry Kane sich am Ende aufgrund der Qualität der gesamten Mannschaft durchsetzen wird. Hut ab vor beiden! Sie machen die Bundesliga wieder wesentlich farbreicher.
Jeden Donnerstag – wöchentlich frisch auf den Tisch!
Peter Neururer über Union-Krise: “Es müsste mal ein Statement kommen”
Also, ich bin mehr oder weniger geschockt aufgrund des Ergebnisses am letzten Wochenende. Union Berlin verliert 4:0 bei Bayer Leverkusen. Also gut, wenn es einmal passiert, man kann in Leverkusen mit 4:0 verlieren.
Aber die Anhäufung der Niederlagen im Gesamtbereich ist einfach unglaublich und das Durchreichen bis zum letzten Tabellenplatz jetzt, das sind Signalwirkungen, die aber eigentlich gar nicht eintreten. Man macht so weiter.
Eigentlich positiv: Toll, wie man zum Trainer steht. Toll, wie die Mannschaft zum Trainer steht, aber eben unvorstellbar, dass Union so absackt, und jetzt wird’s langsam aber sicher schon fast bodenlos. Aber bodenlos nur in Bezug auf Hoffnung oder Perspektive.
Denn der Punkteabstand, um den rettenden Platz zu erreichen, der ist nicht großartig, denn einige andere Mannschaften schwächeln genauso. Nicht in der Form vielleicht, nicht ganz so extrem, weil andere Sachen erwartet wurden, aber genauso.
Jetzt müsste mal ein Statement kommen. Entweder hört Urs Fischer selber auf, was ich nicht hoffe, was ich nicht glaube.
Oder der Verein sagt: Egal was passiert, dann gehen wir mit Urs Fischer eben in die 2. Liga und versuchen dann, wie die Freiburger das gemacht haben, mit dem Trainer wieder zurückzukommen, in die 1. Liga. Ich kann es mir zwar nicht vorstellen, aber ich würde es mir wünschen. In erster Linie wünsche ich mir, dass Union aus dieser verdammten Krise endlich rauskommt.
In der Champions League haben sie es ja geschafft. Der Punkt in Neapel war großartig. Ich habe gehofft, dass das Signalwirkung auf die Bundesliga haben wird, das war ausgerechnet jetzt beim Spiel gegen Leverkusen nicht der Fall. Die nächsten Spiele werden nicht unbedingt leichter. Alles Gute Union Berlin, und vor allen Dingen, alles Gute Urs Fischer.
Neururer: “Hoffe, Nagelsmann geht nach Leistungsprinzip”
Die Deutsche Nationalmannschaft spielt am Wochenende in Berlin gegen die Türkei. Übrigens, liebe Deutsche, nicht überrascht sein, wenn es ein Auswärtsspiel wird. Die Türken haben sehr, sehr viele Freunde, gerade in Berlin, und sie werden mit Sicherheit an Karten kommen.
Wo steht die Deutsche Nationalmannschaft? Ja, die große Frage. Nach dem Trainerwechsel hat man auf jeden Fall eine positive Tendenz erkannt, erst mit Rudi Völler das Spiel gegen Frankreich, es war eine tolle Angelegenheit, ein gutes Ergebnis. Man darf nicht vergessen, mit welcher Mannschaft man da aufgetreten ist, aber auch der Gegner.
Dann eben die Spiele unter Nagelsmann, auch okay, kann man machen, obwohl der Zeitpunkt, beziehungsweise der Ort, für mich die reine Katastrophe waren. Mitten in einer Saison zwei Spiele zu machen in der USA, das geht eigentlich logistisch überhaupt nicht. Aber gut, lassen wir mal so stehen.
Wo sind wir angesiedelt? Im Augenblick in the middle of nowhere. Keiner weiß genau, was läuft. Ich glaube, und ich hoffe, dass Julian Nagelsmann wirklich nach Leistungsprinzipien geht, dass wirklich die aktuell stärksten Spieler nominiert werden.
Da habe ich allerdings meine Bedenken, in Bezug auf einen Spieler, den ich persönlich toll finde: Marvin Ducksch. Mit Füllkrug zum Beispiel als Doppelspitze in der Nationalmannschaft, das würde alles aussagen oder vieles aussagen, dann würden wir irgendwo im europäischen Mittelmaß verschwinden.
Ich glaube nicht, dass es auf Dauer so durchgehen wird und hoffe, dass die Offensivkräfte, die wir zweifelsfrei haben, aufgrund einer guten Defensive gut unterstützt werden. Die Defensive könnte ordentlich wachsen, indem ein Mann wie Hummels wieder zurückkommt.
Jetzt weiß man nicht, verletzt am letzten Wochenende ausgewechselt worden im Spiel gegen Stuttgart. Wie sieht’s mit ihm aus? Aber Leistungsprinzipien kommen wieder her, von daher habe ich die Hoffnung, dass es sich mehr oder weniger wieder zum Positiven wendet, dahingehend wendet, dass wir vielleicht Hoffnung haben oder ich Hoffnung habe, bei der Europameisterschaft eine gute Rolle zu spielen.
Alles Gute,
Euer Peter